Eine bereichsübergreifende Rolle des Gyrus angularis beim Abrufen interner Repräsentationen der Außenwelt

Einleitung

Autobiografische Erinnerungen an persönliche Erfahrungen aus der Vergangenheit variieren entlang mehrerer miteinander verbundener Dimensionen, wie sensorisch-perzeptive, räumlich-zeitliche und emotionale Informationen (Rubin, 2005). Die komplexe, hochgradig relationale Natur der Informationen im autobiografischen Gedächtnis ermöglicht es uns nicht nur, persönliche Erfahrungen aus der Vergangenheit wiederzuerleben, sondern verleiht uns auch ein Gefühl für die subjektive Zeit und formt unser Selbstgefühl. Zu verstehen, wie das menschliche Gehirn den reichhaltigen Inhalt unserer autobiografischen Erinnerungen speichert und abruft, ist daher seit langem ein Ziel der Gedächtnisforschung.

Der Abruf autobiografischer Erinnerungen beinhaltet Aktivitäten, die auf mehrere Regionen eines „Kerngedächtnisnetzwerks“ verteilt sind, darunter präfrontale, mediale temporale sowie mediale und laterale parietale Kortexe (Svoboda et al., 2006). In letzter Zeit hat das Interesse an den Beiträgen des lateralen parietalen Kortex, insbesondere des linken Gyrus angularis (AG), zum Abruf autobiografischer und episodischer Erinnerungen zugenommen. Dieses Interesse wurde durch Befunde geweckt, die in Studien mit fMRI oder Elektroenzephalographie zuverlässig Aktivitäten im linken AG während des Gedächtnisabrufs nachweisen (Wagner et al., 2005). Insbesondere skaliert die abrufbezogene Aktivität in der linken AG parametrisch mit der Stärke und dem Abruf feinkörniger Details aus dem Gedächtnis (für einen Überblick siehe Rugg und King, 2018), und zwar in dem Maße, dass die Reizkategorie erfolgreich aus der abrufbezogenen Aktivität in der linken AG entschlüsselt werden kann (Kuhl und Chun, 2014). Insgesamt deuten diese Befunde auf eine wichtige Rolle dieser Region für das Gedächtnis hin.

Obwohl sie beim Gedächtnisabruf eine Rolle spielt, gibt es nur wenige direkte Beweise für die Notwendigkeit der AG für das episodische und autobiografische Erinnern. Klassische Beschreibungen von Patienten mit Läsionen des lateralen Parietals (mit Schwerpunkt im AG) berichten über das Auftreten von Dyskalkulie und Dysgraphie (Gerstmann, 1940), erwähnen aber keine offene Amnesie. Neuere und systematische Beschreibungen von Patienten mit lateralen parietalen Läsionen (die das AG umfassen) berichten über qualitative Veränderungen sowohl im autobiografischen (Berryhill et al., 2007) als auch im episodischen Gedächtnis (Ben-Zvi et al., 2015). Die genaue Spezifizierung der Gedächtnisdefizite in diesen Studien ist jedoch aufgrund der Variabilität der Läsionsstelle und -größe, der nach der Läsion stattfindenden funktionellen Reorganisation und der Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen kodierungs- und abrufbezogenen Beeinträchtigungen schwierig (Rugg und King, 2018). Daher ist die Frage, ob das AG wirklich für den Abruf von Erinnerungen notwendig ist, unbeantwortet geblieben.

Um die Notwendigkeit des linken AG für den Abruf autobiografischer Erinnerungen zu bestimmen, verwendeten Bonnici et al. (2018) eine kontinuierliche Theta-Burst-Stimulation (cTBS), um die AG-Funktion vorübergehend zu hemmen, während gesunde erwachsene Teilnehmer ihre autobiografischen Erinnerungen abriefen und bearbeiteten. In einer anfänglichen „Gedächtnissammelphase“ wählten die Teilnehmer fünf persönlich bedeutsame Erinnerungen aus verschiedenen Lebensepochen (Kindheit, Jugend, frühes Erwachsenenalter und das letzte Jahr) aus und benannten sie. Die ausgewählten Erinnerungen wurden mit Namen versehen, die als teilnehmerspezifische Hinweise dienten, um ein reichhaltiges und lebhaftes Erinnern der autobiografischen Ereignisse auszulösen. Auf die Phase der Gedächtnissammlung folgte eine Phase des episodischen Lernens, in der die Probanden Sätze aus visuell und akustisch präsentierten Wortpaaren bildeten. Diese Bedingung war zwingend notwendig, um zu testen, ob die AG-Störung selektive Defizite im autobiografischen Erinnern hervorruft oder ob sie sich auf breitere Formen des episodischen Erinnerns erstreckt. Anschließend wurde die cTBS in der Versuchsbedingung am linken AG oder als Kontrollstelle am Scheitelpunkt verabreicht. Anschließend erinnerten sich die Teilnehmer an ausgewählte autobiografische Erinnerungen, und die Qualität des Gedächtnisabrufs wurde anhand eines standardisierten Protokolls bewertet (für ein autobiografisches Interview siehe Levine et al., 2002). Die Teilnehmer wurden auch gebeten anzugeben, ob die erinnerten autobiografischen Erinnerungen aus der Ich-Perspektive oder aus der Dritten-Person-Perspektive erlebt wurden, da vorgeschlagen wurde, dass die AG an der egozentrischen Verarbeitung innerhalb des autobiografischen Abrufs beteiligt ist (St Jacques et al., 2011). Schließlich erinnerten sich die Teilnehmer frei und kontrolliert an die untersuchten Wortpaare. Um die Stimulationsstelle auszugleichen (linke AG vs. Vertex), kehrten die Teilnehmer eine Woche später zurück und unterzogen sich einer zweiten Sitzung, in der sie einen neuen Satz autobiografischer Erinnerungen und Wortpaare nach denselben Verfahren frei und kognitiv abrufen konnten.

Bonnici et al. (2018) fanden heraus, dass hemmende cTBS an der linken AG selektiv den freien Abruf autobiografischer Erinnerungen störte. Insbesondere führte die Stimulation des linken AG dazu, dass die Teilnehmer weniger Details zu ihren ausgewählten autobiografischen Ereignissen abrufen konnten. Außerdem berichteten die Teilnehmer nach der AG-Stimulation tendenziell weniger autobiografische Erinnerungen aus der Ich-Perspektive, was darauf hindeutet, dass das AG mit dem subjektiven Erleben des autobiografischen Abrufs verbunden ist. Im Gegensatz dazu hatte die AG-Stimulation keine Auswirkungen auf den abgerufenen Abruf von autobiografischen Erinnerungen oder auf den freien oder abgerufenen Abruf von Wortpaaren. Zusammengefasst deuten diese Ergebnisse auf eine Rolle des AG im subjektiven Erinnern hin und liefern Beweise dafür, dass das AG beim Abrufen von reichhaltigen autobiografischen Inhalten eine Rolle spielt.

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