Panslawismus

Die Anfänge des Panslawismus

Seit dem 16. Jahrhundert, insbesondere seit der Veröffentlichung von Mavro Orbinis (1563-1614) Buch Il regno degli Slavi (Das Reich der Slawen, 1601), hatte sich die Vorstellung verbreitet, dass die Slawen ein einziges Volk sind und dass ihre Volkssprachen Dialekte einer gemeinsamen Sprache sind.

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts löste die rasante Entwicklung des deutschen Nationalismus das Aufkommen des modernen Panslawismus aus. Viele slawischsprachige Intellektuelle vertraten die Ansicht, dass alle slawischsprachigen Menschen zu einer einzigen Nation gehörten. Die meisten leugneten jedoch nicht die Existenz getrennter Literatursprachen und „Stammes“-Identitäten und erwarteten eine allmähliche Entwicklung der gemeinsamen slawischen Kultur und Sprache. Ihr Gradualismus manifestierte sich in der Unterstützung der entstehenden slawischen Nationalbewegungen.

Einige russische Panslawisten verstanden den Panslawismus als eine Erweiterung des russischen Nationalismus. Doch als der Erste Slawenkongress im Juni 1848 in Prag tagte, lehnte er den russischen Expansionismus ab. Die überwältigende Mehrheit der Delegierten stammte aus dem österreichischen Kaiserreich, und der Kongress schlug eine österreichisch-slawische Richtung ein; Michail Bakunins (1814-1876) Vorschlag einer panslawischen Föderation unter der Führung Russlands wurde nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.

Panslawismus und Realpolitik: Vor dem Ersten Weltkrieg

Nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg (1853-1856) begann das Land, den Panslawismus als politisches Instrument in seiner Außenpolitik einzusetzen. Der Schwerpunkt der wiederbelebten russischen panslawistischen Bewegung verlagerte sich von der Kultur auf die Politik, und die Vorstellung, dass Russland die osmanischen und österreichischen Slawen „befreien“ sollte, gewann unter Journalisten, Armeeoffizieren, Politikern und sogar innerhalb des Herrscherhauses an Popularität. Vorschläge, Russisch als gemeinsame slawische Sprache zu verwenden, fanden ebenfalls Unterstützung.

Die russophilen Panslawen waren auf dem Zweiten Slawenkongress (Moskau, 1867) gut vertreten, und ihre Bedeutung in Russland nahm erst nach der deutschen Vereinigung 1871 zu. Die Unterstützung durch die russische Regierung war jedoch meist pragmatisch; der Panslawismus diente zur Untermauerung der russischen Politik auf dem Balkan. Außerdem lehnten die meisten slawischen Politiker in Österreich-Ungarn die russische Dominanz ab und hielten am Austroslawismus in der Politik und an der slawischen Gegenseitigkeit in der Kultur fest. Nach der Jahrhundertwende entwickelte sich in Österreich-Ungarn der so genannte Neoslawismus, der unter den jüngeren slawischen Intellektuellen und Politikern an Unterstützung gewann. In den Jahren 1908 und 1910 fanden der dritte und vierte Slawenkongress in Prag bzw. Sofia statt. Der Neoslawismus lehnte die russische Hegemonie ab, befürwortete aber die Zusammenarbeit mit Russland.

Als 1912 der Erste Balkankrieg ausbrach, erfasste eine Welle der Begeisterung die habsburgischen Slawen. Panslawische Komitees sammelten Geld und medizinische Hilfsgüter, und Freiwillige schlossen sich den Armeen des Balkanbundes an. Die österreichisch-ungarischen slawischen Soldaten und Reservisten wurden unruhig. Die Behörden waren zunehmend besorgt und reagierten über. Die Generäle sahen überall die Gefahr des Panslawismus, und viele meinten, dass dieser nur durch entschlossenes Handeln beseitigt werden könne. Während des Zweiten Balkankrieges befürworteten sie eine militärische Intervention gegen Serbien. In Russland ermutigten die Siege der Balkanslawen die Panslawisten und erhöhten die öffentliche Unterstützung für den Panslawismus. Die Panslawen standen Österreich-Ungarn zunehmend kritisch gegenüber und drängten auf eine anti-österreichische Außenpolitik.

Obgleich die Auswirkungen der panslawistischen Bestrebungen auf die russische Diplomatie begrenzt waren, waren sie nicht zu vernachlässigen. Der russische Botschafter in Serbien, Nikolaus Hartwig (1857-1914), war ein glühender Panslawe und trug zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Serbien und Österreich-Ungarn vor dem Krieg bei.

Erster Weltkrieg

Nach dem Attentat von Sarajewo und während der Julikrise drängten die russischen Panslawen ihre Regierung, Serbien bedingungslos zu unterstützen. Die Wirkung dieser Bemühungen war begrenzt; andere Erwägungen bestimmten die russische Außenpolitik weitaus stärker. Das Manifest des russischen Zaren Nikolaus II. (1868-1918) vom 3. August 1914 stützte sich jedoch auf panslawistische Ideen, um die russische Unterstützung für Serbien zu begründen. Als der Krieg ausbrach, wurde die „Befreiung“ der in Deutschland und Österreich-Ungarn lebenden Slawen zu einem ausdrücklichen Kriegsziel. In seinem „Manifest an die polnische Nation“ (14. August 1914) versprach Nikolai Nikolajewitsch, Großfürst von Russland (1856-1929), sogar die Wiedervereinigung Polens.

Während des Krieges wurde die panslawistische Propaganda in großem Umfang zur Motivation der russischen Truppen eingesetzt. Sie richtete sich auch gegen österreichisch-ungarische slawische Soldaten. In russischer Gefangenschaft wurden slawischsprachige österreichisch-ungarische Kriegsgefangene von den anderen getrennt und anders behandelt. Serbische Soldaten richteten in einigen Fällen sogar nicht-slawische Kriegsgefangene hin. Die slawischen Kriegsgefangenen wurden mit nationalistischer und panslawistischer Propaganda konfrontiert, um sie für verschiedene nationale Legionen zu rekrutieren. Darüber hinaus wurde die Bevölkerung in den von Russland besetzten Teilen Deutschlands und Österreich-Ungarns oft unterschiedlich behandelt: Slawophone galten als Verbündete, andere als Feinde und potenzielle Spione.

In Deutschland wurde die übertriebene Bedrohung durch den Panslawismus in der Propaganda eingesetzt, während die österreichisch-ungarische Führung, die sich der großen slawischen Bevölkerung innerhalb ihrer Grenzen bewusst war, vor ihr warnte. Als jedoch im österreichischen Teil der Monarchie der so genannte Militärabsolutismus eingeführt wurde, führte die Angst vor dem Panslawismus trotz der begrenzten Wirkung der russischen panslawistischen Propaganda zu einer wahllosen Verfolgung von Slawen in vielen Teilen des Landes.

Nach dem Krieg

Nach der Oktoberrevolution lehnten die Bolschewiki den Panslawismus als Ausdruck des „russischen Imperialismus“ ab. Erst in den 1930er Jahren tauchte der Panslawismus als wichtiges Instrument der sowjetischen Außenpolitik und Propaganda wieder auf. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Jahr 1941 gewann er an Bedeutung und blieb bis Ende der 1940er Jahre wichtig, als Jugoslawien mit der Sowjetunion brach.

In anderen slawisch dominierten Staaten wurde der Panslawismus in der Zwischenkriegszeit an den Rand gedrängt. Es gab mehrere Konflikte zwischen ihnen, und die ideologische Kluft zwischen der Sowjetunion und den übrigen Staaten erschwerte die Zusammenarbeit zusätzlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als diese Staaten sich in der sowjetischen Sphäre wiederfanden, wurde der Panslawismus zur Unterstützung der sowjetischen Hegemonie eingesetzt, doch wie bereits erwähnt, nahm seine Bedeutung nach 1948 ab.

Rok Stergar, Universität Ljubljana

Redakteurin der Sektion: Tamara Scheer

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