Stabile Angina pectoris: Welche Medikamente oder Kombinationen bei welchen Patienten eingesetzt werden sollten

Einleitung

Trotz moderner Techniken der perkutanen Koronarintervention (PCI) und der koronaren Bypassgraft (CABG) wird ein signifikanter Prozentsatz der Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (SCAD) weiterhin Angina pectoris-Symptome haben oder diese erneut entwickeln. Mehrere randomisierte Studien und Meta-Analysen haben gezeigt, dass etwa 30 % der Patienten, die wegen einer SCAD revaskularisiert wurden, unabhängig vom Verfahren (PCI oder CABG) weiterhin Angina pectoris-Symptome haben. Der Einsatz von Angina-pectoris-Medikamenten ist daher eine gängige Behandlungsmethode für diese Patienten. In den aktuellen ESC-Leitlinien wird der Einsatz von Medikamenten der ersten und zweiten Wahl zur Behandlung der stabilen Angina pectoris empfohlen. Diese Patienten weisen jedoch häufig, wenn nicht sogar immer, mehrere Risikofaktoren oder Begleiterkrankungen auf, die zum einen den therapeutischen Ansatz verändern und zum anderen in der Praxis zur Entwicklung ihrer koronaren Herzkrankheit geführt haben können. In diesem Artikel fassen wir die Evidenz zu den Empfehlungen für die Behandlung der stabilen Angina pectoris zusammen, um die Behandlung der Patienten entsprechend ihren besonderen Merkmalen und Komorbiditäten zu individualisieren.

Behandlung der stabilen Angina pectoris unter bestimmten Bedingungen

Stabile Angina pectoris und Blutdruckwerte

In den aktuellen ESC-Leitlinien zur Behandlung der stabilen Angina pectoris wird der Einsatz von Renin-Angiotensin-System (RAS)-Blockern empfohlen, da sie die Prognose günstig beeinflussen können, sowie der Einsatz von Kalziumkanalblockern (CCB), Betablockern und langwirksamen Nitraten zur Symptomlinderung. Wir müssen jedoch bedenken, dass RAS-Blocker ebenso wie CCBs und Betablocker Wirkstoffe mit erheblicher blutdrucksenkender Wirkung sind. Bei diesen Wirkstoffen handelt es sich um vier der fünf blutdrucksenkenden Medikamentenklassen, die in den aktuellen ESH/ESC-Leitlinien für die Behandlung der arteriellen Hypertonie vorgeschlagen werden. Bei Patienten mit stabiler Angina pectoris, die eine antihypertensive Behandlung benötigen, empfehlen die ESH/ESC-Leitlinien daher auch den Einsatz dieser Wirkstoffe, da sie neben der Senkung des Blutdrucks (BP) auch andere zusätzliche Eigenschaften (im Hinblick auf die Prognose oder die Linderung von Symptomen) aufweisen.

Die Frage der Verabreichung dieser Wirkstoffe stellt sich jedoch bei Patienten mit niedrigen Blutdruckwerten. Es ist wahrscheinlich, dass niedrige Blutdruckwerte bei Patienten mit stabiler Angina pectoris kardiovaskuläre Ereignisse auslösen können, was vor allem durch das Phänomen der J-Kurve erklärt wird (d. h. eine erhöhte Inzidenz von Ereignissen, wenn der Blutdruck deutlich gesenkt wird). Obwohl es keinen validierten Schwellenwert für den Blutdruck gibt, unterhalb dessen bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK) unerwünschte Ereignisse auftreten können, kann ein Schwellenwert von 120 mmHg für den systolischen Blutdruck als Referenz verwendet werden. Kürzlich ergaben Daten von 22 672 Patienten mit SCAD im CLARIFY-Register, dass Patienten mit einem systolischen Blutdruck/diastolischen Blutdruck (SBP/DBP) von weniger als 120/70 mmHg ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse hatten (bereinigte HR 1,56, 95 % KI: 1,36-1,81/bereinigte HR 1,41, 95 % KI: 1,24-1,61). Darüber hinaus wurde bei Patienten mit einer Herzerkrankung in der Vorgeschichte wiederholt über eine erhöhte Inzidenz von Myokardinfarkten berichtet, wenn der systolische Blutdruck auf weniger als 120-130 mmHg gesenkt wurde. In der SPRINT-Studie war die Senkung des Blutdrucks auf <120 mmHg mit einer Zunahme zahlreicher Nebenwirkungen wie Hypotonie, Synkopen, Elektrolytanomalien und akuter Nierenschädigung verbunden, während es keinen Nutzen in Bezug auf Herzinfarkte oder kardiale Ereignisse gab. Kürzlich wurde ein Algorithmus vorgeschlagen, nach dem Patienten mit stabiler Angina pectoris und einem SBP <120 mmHg auf blutdrucksenkende antianginöse Medikamente verzichten sollten, um eine übermäßige Senkung des Blutdrucks zu vermeiden (Abbildung 1). Die Autoren schlugen stattdessen vor, bei Patienten mit niedrigeren SBP-Werten (<120 mmHg) Medikamente zu verwenden, die den Blutdruck nicht (oder nur minimal) beeinflussen.

Abbildung 1. Individualisierte Behandlung entsprechend den Begleiterkrankungen und Risikofaktoren der Patienten.

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Stabile Angina pectoris und Herzfrequenz

Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass eine erhöhte Herzfrequenz (HR) bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit schädlich ist, da sie den Sauerstoffbedarf des Herzmuskels erhöht, was zu Ischämie und Anginalsymptomen führt. In den aktuellen ESC-Leitlinien wird der Einsatz von Herzfrequenzsenkern wie Betablockern, Ivabradin und Nicht-Dihydropyridin-(Nicht-DHP-)CCBs empfohlen, um die Herzfrequenz zu senken. Es ist jedoch zu bedenken, dass eine übermäßige Senkung der Herzfrequenz nicht nur aufgrund der mit der chronotropen Inkompetenz verbundenen Symptome und Wirkungen schädlich sein kann, sondern auch das Auftreten von Vorhofflimmern erhöhen kann. Nach den Ergebnissen der SIGNIFY-Studie, die ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Vorhofflimmern bei Patienten mit einer übermäßigen Senkung der Herzfrequenz zeigte, entstand eine Debatte über den Schwellenwert, unterhalb dessen herzfrequenzsenkende Mittel nicht eingesetzt werden dürfen. Kürzlich wurde ein Schwellenwert von 60 Schlägen pro Minute vorgeschlagen (mit Ausnahme von Ivabradin, das nach den SIGNIFY-Ergebnissen bei Herzfrequenzen unter 70 Schlägen pro Minute nicht eingesetzt werden sollte). Bei Patienten mit Herzfrequenzen unterhalb dieses Schwellenwerts wird der Einsatz von Medikamenten mit minimaler oder keiner Wirkung auf die Herzfrequenz empfohlen (Abbildung 1).

Stabile Angina pectoris bei bestimmten Erkrankungen

In den aktuellen ESC-Leitlinien zur Behandlung der stabilen Angina pectoris wird der Einsatz verschiedener Medikamente zur Linderung der Symptome empfohlen, wobei jedoch eingeräumt wird, dass keines dieser Medikamente die Prognose verbessern kann. Darüber hinaus scheint es, dass für die Erst- und Zweitlinientherapie der Angina pectoris derselbe Grad an Evidenz vorliegt. Daher sollte ihr Einsatz unter bestimmten Bedingungen erwogen werden, bei denen die Patienten über die Symptomlinderung hinaus von ihren zusätzlichen Wirkungen profitieren können.

Diabetische Patienten mit stabiler Angina pectoris

Ungefähr 33 % der Patienten mit stabiler KHK leiden auch an Diabetes mellitus (DM). Das Vorhandensein von DM führt zu einer ausgedehnteren Gefäßerkrankung und einer schwereren ischämischen Belastung (sowohl anginal als auch stumm). Bei der Behandlung von Diabetikern mit Angina pectoris sind Medikamente zu bevorzugen, die ein positives oder zumindest ein neutrales Stoffwechselprofil aufweisen. Ranolazin ist ein Mittel gegen Angina pectoris mit günstigen Auswirkungen auf die Senkung des HbA1c-Wertes. In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie war der Einsatz dieses Wirkstoffs mit einer signifikanten Senkung des HbA1c-Wertes verbunden, wobei der Anteil der Probanden, die einen HbA1c <7,0 % erreichten, in der Ranolazin-Gruppe größer war als unter Placebo (25,6 % vs. 41,2 %; p=0,0004). Der Einsatz von Betablockern bei Diabetikern ist umstritten, da es bei diesen Patienten häufiger zu einem Neuauftreten von DM oder einer Verschlechterung des glykämischen Profils kommt. Es scheint, dass diese ungünstigen Wirkungen auf die Mehrzahl der nicht gefäßerweiternden Betablocker beschränkt sind. Die gefäßerweiternden Betablocker weisen ein günstiges metabolisches Profil auf, da sie die Insulinsensitivität verbessern und keine nachteiligen Auswirkungen auf das Lipidprofil haben. Außerdem gibt es einige Daten, die den Einsatz von Trimetazidin bei Diabetikern unterstützen. Die Verabreichung dieses Medikaments (20 mg t.i.d. über zwei Wochen) führte in einer randomisierten, placebokontrollierten Studie zu einer Senkung der Nüchternglukose-Plasmaspiegel; diese Studie sowie die Mehrzahl der Studien mit Trimetazidin hatten jedoch einen geringen Stichprobenumfang.

Daher sollten Wirkstoffe wie Ranolazin oder gefäßerweiternde Betablocker mit ihrem günstigen metabolischen Profil oder Wirkstoffe wie Ivabradin, Nicorandil, CCBs und wahrscheinlich Trimetazidin mit ihrem neutralen Profil bei Patienten mit Angina pectoris und DM zur Symptomlinderung bevorzugt werden.

Stabile Angina pectoris und linksventrikuläre systolische Dysfunktion

Etwa 70 % der Fälle von Herzinsuffizienz (HF) mit verminderter Auswurffraktion stehen in direktem Zusammenhang mit einer KHK, und bei Patienten mit HF und stabiler Angina pectoris ist die Verabreichung von Arzneimitteln vorzuziehen, die nicht nur die Angina pectoris-Anfälle reduzieren, sondern auch eine günstige prognostische Wirkung haben können. Die Verabreichung von Betablockern an Patienten verringert nicht nur die Angina pectoris-Symptome, sondern kann auch das Fortschreiten von HF verzögern und gleichzeitig die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen HF verringern und die Prognose verbessern. Darüber hinaus wirkt sich der Einsatz von Ivabradin bei diesen Patienten nicht nur positiv auf die Linderung der Symptome aus, sondern auch auf die Verringerung der Krankenhauseinweisungen wegen HF und die Verbesserung der Prognose im Allgemeinen. In der BEAUTIFUL-Studie führte die Verabreichung von Ivabradin bei Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) <40 % zu einem signifikanten Rückgang des zusammengesetzten Endpunkts tödlicher und nicht tödlicher Myokardinfarkt um 36 % (p=0,001) und der Notwendigkeit einer Revaskularisierung um 30 % (p=0,016) bei Patienten mit einer Herzfrequenz >70 bpm. Daher ist der Einsatz von Betablockern und/oder Ivabradin bei Patienten mit stabiler Angina pectoris und HF mit reduzierter Ejektionsfraktion zu bevorzugen, da dies neben der Symptomlinderung auch günstige Auswirkungen auf die Verringerung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität hat. Andererseits kann die Verwendung von Hydralazin/Isosorbiddinitrat anstelle der traditionellen Hemmung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems problematisch sein, da diese Kombination Angina pectoris auslösen kann. Ebenso ist die Sicherheit von Ranolazin bei Patienten mit HF mit reduzierter EF (HFrEF) ungewiss und muss daher mit Vorsicht eingesetzt werden. Nitrate könnten eine mögliche Rolle spielen, indem sie gefäßerweiternde und antianginöse Wirkungen kombinieren. Die Verabreichung von Nicorandil und Dihydropyridin (DHP) CCBs hat sich bei Patienten mit HF und linksventrikulärer systolischer Dysfunktion (LVSD) ebenfalls als sicher erwiesen. Leider gibt es keine aussagekräftigen Daten für den Bereich der mittleren oder erhaltenen linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF) von HF-Patienten (LVEF 40-49% und >50%). Bisher konnte noch nicht überzeugend nachgewiesen werden, dass eine Behandlung die Morbidität oder Mortalität verringert. Daher können wir bei diesen Patienten antianginöse Medikamente einsetzen, die sich auch günstig auf ihre Begleiterkrankungen auswirken.

Stabile Angina pectoris und Vorhofflimmern

Vorhofflimmern kann die Angina pectoris-Symptome verschlimmern, da es die Herzfrequenz und damit den Sauerstoffverbrauch des Herzens erhöht. Daher sollten bei Patienten mit stabiler Angina pectoris und Vorhofflimmern herzfrequenzsenkende Angina-pectoris-Medikamente wie Betablocker und Nicht-DHP-CCBs bevorzugt werden. Diese Medikamente sind nicht nur zur akuten Kontrolle der Herzfrequenz nützlich, sondern auch zur langfristigen Kontrolle. Herzfrequenzsenkende Mittel mit antianginöser Wirkung wie Ivabradin werden nicht empfohlen, da dieses Medikament bei Vorhofflimmern unwirksam ist. Darüber hinaus erhöhte Ivabradin in der SIGNIFY-Studie die Inzidenz von Vorhofflimmern im Vergleich zu Placebo (5,3 % vs. 3,8 %, p<0,001), während eine Metaanalyse von 21 571 Patienten, die Daten aus 11 Studien mit Ivabradin auswertete, zeigte, dass die Behandlung mit diesem Wirkstoff mit einem erhöhten relativen Risiko für Vorhofflimmern von 1,15 (95% CI: 1,07-1,24, p=0,0027) verbunden war. Ranolazin scheint Vorhofflimmern und supraventrikuläre Arrhythmien im Allgemeinen zu unterdrücken. In einer retrospektiven Studie mit 393 Patienten, die sich einer CABG unterzogen, war Ranolazin (1.500 mg präoperativ, gefolgt von 1.000 mg zweimal täglich über 10 bis 14 Tage) dem Amiodaron (400 mg präoperativ, gefolgt von 200 mg zweimal täglich über 10 bis 14 Tage) bei der Prävention von Vorhofflimmern nach CABG überlegen (17,5 % vs. 26,5 %, p=0,035). Darüber hinaus führte in einer Phase-2-Studie, in der die Wirkung von Ranolazin und Dronedaron allein oder in Kombination bei Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern untersucht wurde, die Kombination von Ranolazin 750 mg b.i.d und niedrig dosiertem Dronedaron 225 mg b.i.

Mögliche Kombinationen von Anti-Angina-Medikamenten

In der Regel benötigen Patienten mit stabiler Angina mehr als ein Medikament, um die Angina-Symptome zu unterdrücken. Daher wurden in den meisten Studien verschiedene Anti-Angina-Medikamente zusätzlich zu anderen Anti-Angina-Medikamenten verabreicht. Allerdings können nicht alle Anti-Angina-Medikamente kombiniert werden. Die Kombination von Ivabradin, Ranolazin und Nicorandil wird aufgrund des unbekannten Sicherheitsprofils nicht empfohlen. In der Tat gibt es keine oder nur sehr wenige Studien mit kleinen Stichproben, die sich mit dieser Frage befassen. Außerdem ist nach den Ergebnissen der SIGNIFY-Studie die gleichzeitige Verabreichung von Ivabradin mit Nicht-DHP-CCBs kontraindiziert, da sie zu einer signifikanten Senkung der Herzfrequenz führte. Verapamil oder Diltiazem sind nämlich mäßige CYP3A4-Inhibitoren, und Ivabradin wird durch CYP3A4 metabolisiert. CYP3A4-Inhibitoren und -Induktoren neigen zu Wechselwirkungen mit Ivabradin und beeinflussen dessen Metabolismus und Pharmakokinetik in einem klinisch signifikanten Ausmaß.

Schlussfolgerungen

Patienten mit stabiler Angina pectoris haben in der Regel mehrere Begleiterkrankungen. Es sollte eine individuelle Behandlung vorgeschlagen werden, die die verschiedenen Erkrankungen und Komorbiditäten berücksichtigt, da alle Anti-Angina-Medikamente in etwa die gleiche Wirksamkeit haben und es keinen messbaren Überlebensvorteil gibt.

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