Was ist die Dynamische Systemtheorie?
Die Dynamische Systemtheorie (DST) ist eine Theorie der motorischen Entwicklung, die auf die Behandlung von Kindern mit Cerebralparese (CP; Darrah & Bartlett, 1995) angewendet werden kann. Sie ist besonders nützlich für das Verständnis, wie sich Bewegung entwickelt und verändert (Smith & Thelen, 1993), und kann Aufschluss über die Bereitschaft eines Kindes geben, neue motorische Fähigkeiten zu erwerben. Diese Theorie geht davon aus, dass Bewegung durch die Interaktion mehrerer Teilsysteme innerhalb der Person, der Aufgabe und der Umgebung entsteht (Thelen, 1989). Alle Teilsysteme organisieren sich spontan selbst oder kommen zusammen und interagieren auf eine bestimmte Art und Weise, um die effizienteste Bewegungslösung für jede spezifische Aufgabe zu finden (Thelen, 1989). Die DST geht auch davon aus, dass kein Teilsystem in diesem Prozess am wichtigsten ist (Thelen, Kelso, & Fogel, 1987). Daher müssen Kliniker alle Aspekte der Aufgabe, der Person und der Umgebung berücksichtigen und bewerten, wenn sie versuchen, einem Kind beim Erlernen einer neuen motorischen Fähigkeit zu helfen.
Nach der DST ist die Entwicklung ein nicht-linearer Prozess (Thelen, 1989). Das bedeutet, dass Bewegung nicht kontinuierlich und in gleichmäßigem Tempo entwickelt wird. Vielmehr kann eine kleine, aber kritische Veränderung in einem Teilsystem dazu führen, dass sich das gesamte System verschiebt, was zu einem neuen motorischen Verhalten führt (Smith & Thelen, 1993). Diese Phasenverschiebung oder Übergangsphase ist entscheidend für die Anwendung der DST auf die motorische Entwicklung.
Die DST kann als Rahmen verwendet werden, um die Intervention bei vielen Kindern mit motorischen Problemen zu leiten. In dieser Übersichtsarbeit wird die DST als Rahmen für die Intervention bei Kindern mit CP betrachtet.
Warum ist die DST für Kinder mit CP wichtig?
CP ist eine Erkrankung, die Bewegung und Körperhaltung beeinträchtigt und zu Einschränkungen bei Aktivität und Teilhabe führen kann (Rosenbaum, Paneth, Leviton, Goldstein, & Bax, 2007). Kinder mit CP erhalten häufig Rehabilitationsleistungen vom Zeitpunkt der Diagnose an, also in den ersten Lebensjahren, bis zum Erwachsenenalter. Diese Leistungen für Kinder mit CP und ihre Familien umfassen in der Regel verschiedene Formen von Intervention, Beratung, Bildung und Unterstützung. Die Ziele der pädiatrischen Rehabilitation bestehen letztlich darin, die sichere Teilhabe des Kindes an seinem häuslichen, schulischen und kommunalen Umfeld zu fördern, während es funktionelle Aktivitäten erlernt (Russell, 2005). Physiotherapeutische Interventionen konzentrieren sich in der Regel auf die Entwicklung und das Erreichen von motorischen Fähigkeiten oder die „Fähigkeit des Kindes, eine Bewegung auszuführen“ (Bartlett & Palisano, 2000, S. 599). Die funktionelle Mobilität gilt als ein wichtiges Ergebnis physiotherapeutischer Interventionen bei Kindern mit CP (Tieman, Palisano, Gracely, & Rosenbaum, 2007). Physiotherapeutische Leistungen zielen auch darauf ab, die langfristige Gesundheit zu fördern und weitere Beeinträchtigungen zu verhindern, während das Kind wächst und sich verändert (Bartlett & Palisano, 2000).
Überprüfungen der physiotherapeutischen Praxis zeigen, dass Kinder mit CP in der Regel über Jahre hinweg eine Sitzung Physiotherapie pro Woche erhalten, unabhängig davon, wie sich ihre motorischen Fähigkeiten entwickeln oder ob sie bereit sind, neue Aufgaben zu lernen (Kaminker, Chairello, O’Neil, & Dichter, 2004). In mehreren Studien wurde untersucht, wie man diesen Ansatz in der Physiotherapie ändern kann, indem man stattdessen intensive Therapieschübe über einen bestimmten Zeitraum anbietet, gefolgt von einer Ruhephase.
Diese Art von Therapieplan hat eine Reihe von Vorteilen, darunter:
- Verbesserte motorische Ergebnisse während intensiver Schübe (Bower & McLellan, 1992; Schreiber, 2004; Trahan & Malouin, 2002)
- Aufrechterhaltung der motorischen Fähigkeiten oder sogar fortgesetzte Verbesserungen der motorischen Ergebnisse während der Ruhepausen, da das Kind die neuen Fähigkeiten in verschiedenen Situationen üben kann (Bower & McLellan, 1992; Schreiber, 2004; Trahan & Malouin, 2002)
- Verbesserte Kommunikation zwischen Therapeuten und Familien (Trahan & Malouin, 2002)
- Förderung der familienzentrierten Betreuung (Trahan & Malouin, 2002)
- Verbesserung der Kosteneffizienz (Schreiber, 2004; Trahan & Malouin, 2002).
Obwohl dieser Ansatz viele Vorteile bietet, bleibt unklar, wann intensive Therapieschübe durchgeführt werden sollten. Woher wissen Kliniker, wann ein Kind am ehesten bereit ist, von einer intensiven Therapie zu profitieren? Wenn wir diese Veränderungsbereitschaft bei Kindern mit CP klinisch bestimmen können, können wir möglicherweise die motorischen Ergebnisse und die Effizienz der Therapiedienstleistungen optimieren.
Übergangszeiten lassen sich durch eine Zeit erhöhter Variabilität erkennen (Thelen, 1989), in der neue Bewegungen am wahrscheinlichsten entstehen (Darrah & Bartlett, 1995). Dies ist für Therapiedienstleistungen von entscheidender Bedeutung. Law und Kollegen (1998) setzten das Konzept der Übergangszeiträume mit dem der Entwicklungsbereitschaft für eine Veränderung der motorischen Fähigkeiten in Beziehung und schlugen vor, dass Übergangszeiträume als Indikator für die Bereitschaft dienen können. Die DST legt nahe, dass eine Intervention während dieser Übergangszeiten am vorteilhaftesten ist, da dies die Zeit ist, in der wir am ehesten Veränderungen bewirken können und sich neue motorische Fähigkeiten entwickeln. Kurz gesagt, die DST kann als wichtiger Rahmen für Kinder mit CP verwendet werden, da sie davon ausgeht, dass während der Übergangszeiten eine erhöhte Variabilität besteht (Thelen, 1989), was bedeutet, dass die Kinder mit Bewegungsoptionen experimentieren und möglicherweise eine Variabilität in ihrer motorischen Leistung zeigen.
Was wissen wir über Variabilität?
Forscher haben vorgeschlagen, dass ein gewisses Maß an Variabilität für ein gesundes System wichtig ist und Veränderungen im motorischen Verhalten ermöglicht (Stergiou, Harbourne & Cavanaugh, 2006). Dieselben Forscher schlugen vor, dass es ein „optimales“ Maß an Variabilität gibt, das es uns ermöglicht, in unseren Bewegungsoptionen flexibel zu sein und uns an Veränderungen der Aufgaben und der Umgebung anzupassen. Wir wissen auch, dass sowohl ein Zuviel an Variabilität (Instabilität) als auch ein Zuwenig an Variabilität (Starrheit) zu ungesunden Systemen führen, die sich nicht an Veränderungen anpassen können (Stergiou et al., 2006).
Es ist auch erwiesen, dass es in der Entwicklung Variabilität gibt. Darrah und Kollegen (1998) fanden heraus, dass typische Säuglinge variable Muster in der motorischen Entwicklung zeigen, die mit der Alberta Infant Motor Scale gemessen wurden. Diese Forscher zeigten, dass es in der typischen Entwicklung „Spitzen und Täler“ gibt. Das bedeutet, dass es in der typischen motorischen Entwicklung Phasen gibt, in denen ein Kind keine neuen Fähigkeiten erlernt, gefolgt von Zeiten, in denen es plötzlich mehrere neue motorische Fähigkeiten entwickelt (Darrah et al., 1998). Wenn Kinder mit CP dieselben Tendenzen in der motorischen Entwicklung aufweisen, dann deutet dies darauf hin, dass eine Therapie durchgeführt werden sollte, bevor das Kind einen Höhepunkt erlebt. Therapeuten können diese „Spitzen“ nutzen, um Kindern beim Erlernen neuer motorischer Fähigkeiten zu helfen, und dann Gelegenheiten für das Kind schaffen, diese neuen Fähigkeiten während der „Täler“ in der motorischen Entwicklung zu üben.
Was wissen wir nicht?
Wir wissen noch nicht, wie wir Übergangszustände klinisch identifizieren können. Dazu gibt es noch einige unbeantwortete Fragen. Gibt es bestimmte klinische Anzeichen, auf die wir achten können, um zu wissen, wann ein Kind im Begriff ist, neue Aufgaben zu lernen oder neue Fähigkeiten zu entwickeln? Wir wissen nicht, wie wir die Variabilität klinisch messen können. Was wird als optimale Variabilität angesehen? Wie viel Variabilität ist erforderlich, um ein motorisches Verhalten zu verändern? Wir wissen nicht genau, was zur Veränderungsbereitschaft eines Kindes beiträgt und welche Faktoren sie beeinflussen könnten. Gibt es bestimmte Eigenschaften oder Merkmale bei einem Kind, die seine Bereitschaft zum Erlernen neuer motorischer Fähigkeiten beeinflussen könnten, z. B. die Motivation? Gibt es Faktoren in der Umgebung eines Kindes, die verändert werden können, um die Bereitschaft eines Kindes zum Erlernen neuer motorischer Aufgaben zu erhöhen?
- A few ideas are presented in the literature about the factors that might influence readiness to change:
- Behavioural factors (Bower, McLellan, Arney, & Campbell, 1996)
- Personality factors such as motivation (Schreiber, 2004; Smith & Thelen, 1993)
- Having adequate endurance and tolerance for activity (Schreiber, 2004)
- Being able to maintain a position longer and with less support (Schreiber, 2004)
- Starting to initiate weight-shifting independently (Schreiber, 2004)
In addition, a study by Law et al. (1998) darauf hin, dass Eltern in der Lage waren, Anzeichen dafür zu erkennen, dass ihr Kind „bereit“ war, mit dem selbstständigen Gehen zu beginnen, wie z. B. mehr zu kreuzen oder die Hand der Eltern beim Gehen häufiger loszulassen.
Wie lässt sich dies auf die klinische Praxis übertragen?
Wenn Kliniker, Eltern und Forscher feststellen können, wann ein Kind eine Übergangsphase durchläuft, dann ist es nach dem DST am ehesten bereit, neue motorische Aufgaben zu erwerben. Die Therapie kann dann in einer intensiven Phase erfolgen, in der die neuen motorischen Fähigkeiten gefördert werden, wenn das Kind am ehesten bereit ist, sie zu erwerben. Daran kann sich eine Ruhephase anschließen, in der das Kind die Möglichkeit hat, die neuen motorischen Fähigkeiten in verschiedenen Situationen zu üben. Theoretisch wäre dies der optimale Therapieplan, um die besten motorischen Ergebnisse für Kinder mit CP zu erzielen.
Wie geht es weiter?
Weitere Arbeiten sind erforderlich, um zu verstehen, wie man eine Übergangsperiode klinisch identifizieren kann. Therapeuten brauchen mehr klinische Instrumente zur Messung der Variabilität und Richtlinien darüber, welches Ausmaß an Variabilität optimal ist und was die Bereitschaft zur Veränderung anzeigt. Wir brauchen auch mehr Forschung, um herauszufinden, welche Faktoren mit der Bereitschaft eines Kindes zur Veränderung zusammenhängen. Wenn wir diese Faktoren bestimmen können, können wir auch feststellen, ob klinische Modifikationen eines dieser Faktoren die motorischen Ergebnisse verbessern.
Zusammenfassung
Rehabilitationsfachleute wollen Kindern mit CP helfen, am Leben teilzunehmen, zu Hause, in der Schule und in der Gemeinschaft. Ein Schwerpunkt der Therapie ist die Förderung der motorischen Fähigkeiten. Die DST bietet einen Rahmen, mit dessen Hilfe festgestellt werden kann, wann ein Kind am ehesten in der Lage ist, neue motorische Fähigkeiten zu erlernen. Die DST geht auch davon aus, dass die motorische Entwicklung nicht linear verläuft und dass es „Spitzen und Täler“ gibt. Indem wir klinisch feststellen, wann ein Kind am ehesten zu motorischen Veränderungen bereit ist, können wir die Therapie für Kinder mit CP optimieren. Vieles ist über die Vorteile einer intensiven Therapie mit anschließenden Ruhepausen bekannt; es müssen jedoch noch weitere Fragen beantwortet werden, um zu bestimmen, wann diese intensiven Therapieschübe am besten durchgeführt werden sollten. Durch die Erforschung von Faktoren, die mit der Bereitschaft zur Veränderung zusammenhängen, können Therapeuten weitere Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sie Kindern mit CP das Beste bieten können, um eine sichere und vollständige Teilnahme zu fördern.